„Jugend – ein Armutsrisiko?“ – Ein Rückblick auf den Fachtag der AG Soziale Arbeit am 13. Februar 2023 im Paoso[1]


von Ariane Sept, unter Mitarbeit von Jutta Schröten

„Man kann nur träumen von etwas, von dem man eine Vorstellung hat“ und „keine Ziele zu haben macht Sinn, denn Ziele nicht zu erreichen, tut so weh“ – diese Zitate aus dem Mund von zwei Jugendlichen, die arm sind, waren Anker in den verschiedenen Vorträgen und den Diskussionen auf dem Fachtag. Nicht nur fehlen armen Kindern und Jugendliche grundlegende materielle Dinge, es werden durch sie auch Erfahrungen nicht gemacht, es werden eben keine Träume geträumt und sich keine Ziele gesetzt. Jugendliche schultern viele Aufgaben, Sorgen und Verantwortlichkeiten in ihren Familien. Sie lernen früh, abzuwägen und sich zu begnügen. Sie entwickeln zu wenig Resilienz gegenüber Stress, obwohl sie extrem viel erdulden und erfahren haben. Positive Erfahrungen und eine kontinuierliche Begleitung bis zum Schul- und Ausbildungsabschluss können helfen, die vererbte Armut mit einem eigenständigen Leben zu überwinden. Dörthe Friess von Lichtblick Hasenbergl hat es mit ihrem Enthusiasmus geschafft, den Teilnehmenden des Fachtages zu zeigen, dass eine intensive Begleitung von der Kindheit bis zum Ende der Ausbildung echte Perspektiven bieten kann, auch wenn es keine einfache Aufgabe ist.

Meist aber erscheinen Nachrichten zu Armut, erst recht unter Kindern und Jugendlichen, eher als Randnotiz und auch in der Lehre an unserer Fakultät steht das Thema leider noch zu selten im Fokus. Und das obwohl selbst in München mit seinen überdurchschnittlich hohen Einkommen und Vermögen, vor allem Haushalte mit (mehreren) Kindern sowie Alleinerziehende von (relativer) Armut betroffen sind: Während 16% der Haushalte mit einem Kind als arm gelten, sind es unter den Haushalten mit drei und mehr Kindern 35%, unter Alleinerziehenden gar 37%. Diese Zahlen berichtete Werner Fröhlich von der LMU, der lange selbst am Münchener Armutsbericht mitgearbeitet hat. Des Weiteren führte Werner Fröhlich aus, dass wesentlicher Treiber von Verarmung häufig die Wohnkosten sind. Allgemein geht man davon aus, dass die Miete etwa 30% des zur Verfügung stehenden Haushaltseinkommens nicht überschreiten sollte, um am gesellschaftlichen Leben adäquat teilzuhaben. Unter den als arm geltenden Münchner:innen müssen jedoch über 60% mehr als 40% ihres Einkommens für das Wohnen aufbringen, obwohl ihnen überwiegend weniger Wohnfläche pro Kopf zur Verfügung steht als anderen Bevölkerungsgruppen. Arme Familien wohnen häufig beengt, Kinder können sich nicht zurückziehen, für viele Freizeitaktivitäten fehlen finanzielle Mittel. Stark erhöht hat sich in den letzten Jahren auch die Anzahl der minderjährigen Kinder und Jugendlichen in Sofortunterbringung, sie machen inzwischen empörende 35% aller Wohnungslosen in München aus. Es ist davon auszugehen, dass sich das Wohnungsproblem durch Inflation und massiv gestiegene Energiekosten weiter verschärfen wird.

Kinder und Jugendliche sind zudem überdurchschnittlich oft auf Leistungen nach SGB II angewiesen. Ute Kötter (Hochschule München) und Ute Kinne (Jobcenter München) beschäftigten sich daher mit den Änderungen durch das neue Bürgergeldgesetz und dessen Auswirkungen auf die Integration von Jugendlichen unter 25 Jahren in Ausbildung und Arbeit. Beide sehen durchaus Verbesserungen wie die Erhöhung der Freibeträge für Vermögen oder der anrechnungsfreien Verdienste für Jugendliche und Schüler:innenjobs. Eine Vermittlung soll je nach Situation zudem nicht vorrangig in Arbeit geschehen, sondern insbesondere der Qualifizierung dienen. Insbesondere aber die noch immer zu geringe Höhe der sogenannten Regelbedarfe wird von vielen Seiten kritisiert. Insgesamt schienen die beiden Rednerinnen aber eher ernüchtert: der ganz große Wurf im Kampf gegen Armut scheint mit den neuen Regelungen nicht gelungen.

Die abschließende und angeregte Diskussion der ca. 25 Teilnehmer:innen im Paoso zeigte, dass Armut im Studium der Sozialen Arbeit aber auch den anderen Studiengängen der Fakultät zwar in zahlreichen Lehrveranstaltungen thematisiert wird, jedoch nicht systematisch in den Curricula verankert ist. Viele Diskutierende äußerten den Eindruck, Armut sei sowohl bei Lehrenden als auch bei den Studierenden ein Tabuthema, das insbesondere vor dem Hintergrund neoliberaler Einstellungen einer größeren Aufmerksamkeit bedarf. Als einen Schritt auf diesem Weg plant die AG Soziale Arbeit daher, im Sommer eine studiengangsübergreifende Tagung zu verschiedenen Armutsthemen durchzuführen sowie mit Lehrenden Möglichkeiten auszuloten, zeitnah und praxisorientiert das Thema Armut systematisch in der Lehre zu verankern!

Die Ergebnisse des Fachtags wurden schriftlich festgehalten und sind den Teilnehmer: innen zugänglich!

Programm Fachtag 13.02.2023 der AG Soziale Arbeit an der Fakultät für angewandte Sozialwissenschaften

AG Soziale Arbeit, Hochschule München, Fak. für angewandte Sozialwissenschaften

Ort: Paoso

Zeit: 09:00-16:00 Uhr

Tag: 13.02.2023

Organisation: Birgit Baumeister, Ute Kötter, Gunda Sandmeir, Gerd Stecklina, Gabriele Vierzigmann

„Jugend – ein Armutsrisiko?“

9:00 bis 9:15 Uhr            Ankommen im Paoso

09:15 bis 09:30 Uhr       Eröffnung, Anliegen, Ziele des Workshops

9:30 bis 10:30 Uhr         Werner Fröhlich (LMU München): Jugend – ein Armutsrisiko? Wissenschaftliche Perspektive

10:30 bis 11:00 Uhr       Pause

11:00 bis 12:00 Uhr       Ute Kötter (Hochschule München): Das neue Bürgergeldgesetz – ein Überblick über die wichtigsten Änderungen

Ute Kinne (Jobcenter München): Die Auswirkungen des Bürgergeldgesetzes auf die Integration von U25

12:00 bis 13:00 Uhr       Mittagspause

13:00 bis 14:00 Uhr       Dörthe Friess (Lichtblick Hasenbergl): Perspektiven der Praxis auf Jugend und Armut

14:00 bis 14:15 Uhr       Pause

14:15 bis 15:30 Uhr       Fokus Lehre: Armut in der Lehre als Querschnittsthema?!

15:30 bis 16:00 Uhr       Abschluss: Ausblick, Weiterarbeit am Thema, AG Soziale Arbeit

[1] Paoso … Katholische und Evangelische Hochschulgemeinde in München-Pasing, https://www.paoso.de/

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